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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Schluss mit der Geld-zurück-Garantie

Sven Schaller | | Artikel drucken
Lesedauer: 5 Minuten

Geldrücksendungen nach Lateinamerika zeichnen Bild der aktuellen globalen Wirtschaftslage

Lateinamerika: Erste Auswirkungen der Eurokrise - Bildquelle: Quetzal-Redaktion, ecmDie Geldrücksendungen (remittances, remesas) von Migranten in ihre Heimatländer sind zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor weltweit geworden. Seit 1995 übertreffen sie die Gelder der internationalen Entwicklungshilfe. Inzwischen belaufen sich die Geldrücksendungen über offizielle Kanäle auf 540 Milliarden US-Dollar (real, 2011) und sind etwa drei Mal so hoch wie die gesamte Entwicklungshilfe. Hinzu kommen schätzungsweise 250 Milliarden US-Dollar, die nicht erfasst wurden.

Der Rückfluss nach Lateinamerika beträgt etwa 61,3 Milliarden US-Dollar (2012). Der Rekord liegt bei 65 Milliarden (2008). Allerdings zeichnet sich eine Diskrepanz zwischen Zentral- und Südamerika ab. Während in Zentralamerika die Geldrücksendungen zuletzt um 6,5 Prozent auf 14 Milliarden stiegen, gingen sie in Südamerika um 1,1 Prozent auf 16,5 Milliarden zurück. Die Erholung des Arbeitsmarktes in den USA, wo traditionell viele Migranten aus Mittelamerika arbeiten, hat maßgeblich zur Erhöhung der Rückflüsse in den zentralamerikanischen Staaten beigetragen.

Dagegen belastet die Krise in Spanien sehr stark auch die Beschäftigungs- und Einkommenslage der südamerikanischen Emigranten. Insgesamt gingen die Geldrücküberweisungen aus Spanien um durchschnittlich 7,1 Prozent zwischen 2011 und 2012 zurück. Und die Tendenz hält an. Inzwischen sind tausende Migranten in ihre Heimatländer zurückgekehrt – oder haben sich in das Heer der fast sechs Millionen Arbeitslosen eingereiht. Für die betroffenen Familien bedeutet diese Entwicklung, dass eine wichtige Einkommensquelle versiegt und die „Geld-zurück-Garantie“ nicht fortbestehen wird. Für Kleidung, Nahrung und vor allem Arztkosten müssen nun neue (einheimische) Quellen erschlossen werden.

Eine detaillierte Analyse der Geldrücksendungen in Lateinamerika enthüllt noch deutlicher als die Globaldaten deren Wichtigkeit für die nationale Wirtschaft. In Mexiko, zum Beispiel, betragen die Geldrücksendungen 23,6 Milliarden US-Dollar (2011). Das heißt, jeder der etwa 12 Millionen mexikanischen Migranten überweist pro Jahr durchschnittlich etwa 2000 US-Dollar an die Familie zurück. Im Vergleich zu diesen Zahlen kann die offizielle Entwicklungshilfe geradezu vernachlässigt werden. Sie beläuft sich auf lediglich 3,3 Milliarden US-Dollar.

Lateinamerika: Viele sind angewiesen auf remesas - Foto: Quetzal-Redaktion, pgBetrachtet man die relativen Zahlen, weisen die zentralamerikanischen Staaten Guatemala, El Salvador und Honduras eindrucksvolle Statistiken aus. Beispielsweise beträgt der Anteil der emigrierten Bevölkerung in El Salvador, der regelmäßig Rücküberweisungen vornimmt, knapp 18 Prozent der Gesamtbevölkerung. In der gleichen Größenordnung tragen die Geldrücksendungen zum Bruttoinlandsprodukt bei. Mit jährlich knapp 2900 US-Dollar pro Migrant liegen sie auch etwa gleichauf mit dem durchschnittlichen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf. In Guatemala überweisen knapp sieben Prozent der Bevölkerung regelmäßig Geld zurück an ihre Familien. Die jährlichen Rücküberweisungen in Höhe von 5170 US-Dollar pro Migrant sind zudem sehr hoch. Das Gleiche gilt für Honduras. Auch hier übersteigen die Geldrückflüsse pro Migrant 5000 US-Dollar pro Jahr.

In Südamerika haben die Geldrücküberweisungen vor allem in Ecuador große Bedeutung. Sieben Prozent der Bevölkerung arbeiten im Ausland und senden Geld zurück. Zuletzt (2011) waren es 2,7 Milliarden US-Dollar, pro Migrant etwa 2350 US-Dollar. Allerdings ist Ecuador sehr stark von der Krise in Spanien betroffen. Seit 2007/2008 verringerten sich die Rücküberweisungen stetig. Nach einem Rückgang um 17,6 Prozent im Jahr der Krise, waren es 2008/2009 immer noch minus neun Prozent und 2009/2010 minus 4,4 Prozent. Hart getroffen hat es scheinbar auch brasilianische Migranten in Spanien. 2008/2009 gingen ihre Geldrücksendungen aus dem iberischen Land um 35,5 Prozent zurück. Welche Bedeutung den Rücküberweisungen in Brasilien noch zukommt, wird an folgenden Zahlen deutlich: Das Land weist knapp 200 Millionen Migranten aus, die über eine halbe Billion US-Dollar (514 Milliarden) nach Brasilien zurück überweisen. Pro Migrant sind das 2600 US-Dollar im Jahr. Zum Vergleich dazu: Das OECD-Land Chile weist 634.000 Migranten aus, die im Durchschnitt aber lediglich fünf US-Dollar pro Kopf zurückschicken.

Die Rücküberweisungen spielen jedoch nicht nur für die betroffenen Familien eine große Rolle. Auch die Banken und Geldtransfer-Unternehmen haben diesen Markt entdeckt. Im weltweiten Durchschnitt werden neun Prozent Provision pro Transfer kassiert, was im Einzelfall Provisionen bis 20 Prozent bedeutet. Western Union, der Marktführer bei den Geldüberweisungen, erfasst pro Sekunde 28 Transaktionen. Die Zahl ihrer Filialen stieg von 101.000 im Jahr 2000 auf 510.000 heute. Im Jahr tätigt Western Union Geldrücksendungen in Höhe von 80 Milliarden US-Dollar. Der Umsatz der Firma liegt bei 5,7 Milliarden US-Dollar.

Eine Studie der Weltbank geht davon aus, dass die Geldrücksendungen bis 2015 global um neun Prozent pro Jahr zunehmen. Entsprechend sollen 2014 erstmals über 600 Milliarden US-Dollar von Migranten an ihre Familien zu Hause zurücküberwiesen werden. Im lateinamerikanischen Kontext hängt dabei natürlich viel von der weiteren Entwicklung in den USA und Südeuropa ab. Und die ist momentan alles andere als stabil. Viel deutet darauf hin, dass die „Geld-zurück-Garantie“ nicht aufrechterhalten werden kann.

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Bildquellen: [1] Quetzal-Redaktion, ecm; [2] Quetzal-Redaktion, pg

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