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Cocaleros als soziale Bewegung und die Krise der Drogenbekämpfung im Andenraum

Peter Gärtner | | Artikel drucken
Lesedauer: 8 Minuten

Veranstaltung Lessmann und Quetzal Leipzig (Foto: Quetzal Redaktion, mg)Am 31. März 2011 fand in Leipzig zum Thema „Cocaleros als soziale Bewegung und die Krise der Drogenbekämpfung im Andenraum“ eine Veranstaltung des QUETZAL mit Robert Lessmann statt. Robert Lessmann hat erst jüngst ein Buch über Bolivien publiziert und gilt als einer der renommiertesten Kenner der Drogenpolitik im Andenraum. Nach einer kurzen Einführung zur Geschichte des Kokastrauchs ging der Referent im ersten Teil seiner Ausführungen auf die soziale Bewegung der Kokabauern (cocaleros) ein, die gerade in Bolivien maßgeblich am Widerstand gegen den neoliberalen Kurs (bis 2005) und der Neugründung des Landes nach dem Wahlsieg von Evo Morales (ab 2006) beteiligt waren bzw. sind. Diese Vorreiterrolle gründet sich auf das Zusammenspiel verschiedener Faktoren, die sich aus der Geschichte des Landes ableiten. In Bolivien verbinden sich drei unterschiedliche Traditions- und Entwicklungslinien miteinander, die in dieser Ausformung und Kombination anderswo nicht zu finden sind. Zum ersten ist es das am meisten „indigene“ Land Südamerikas. Die 36 verschiedenen Ethnien der Ureinwohner bilden die Mehrheit der rund zehn Millionen Bolivianer, wobei 90 Prozent auf die Quechua und Aymara entfallen, die hauptsächlich im Altiplano und den Andentälern (valles) siedeln. Nach dem französischen Historiker Fernand Braudel kann dies als ein Strukturelement von „langer Dauer“ bezeichnet werden. Ein zweiter historischer Strang reicht in die Zeit der Revolution von 1952 zurück und äußert sich im hohen Organisations- und Mobilisierungsgrad der Arbeiterbewegung, an deren Spitze bis Mitte der 1980er Jahre die Bergleute (mineros) standen. Die 1985 implementierten neoliberalen Reformen, die zeitlich mit dem „Zinnkrach“ zusammenfielen, bewirkten als drittes, kurzfristiges Moment zunächst eine Krise, dann eine Neuorientierung der sozialen Bewegungen Boliviens. Ein Großteil der von einer drastischen Entlassungswelle betroffenen mineros und der in Armut lebenden campesinos des Hochlandes migrierte in die ökonomisch besser gestellten Landesteile im Osten. Neben dem neuen Wirtschaftszentrum Santa Cruz ist der Chapare im tropischen Teil des Departements Cochabamba ein bevorzugtes Kolonisierungsgebiet. Ein Grund dafür sind nicht zuletzt die idealen Anbaubedingungen für Koka. In der Traditionslinie des sindicalismo nach 1952 und aufgrund der fehlenden Präsenz des Staates im Chapare etablierten sich die Organisationen der cocaleros als faktische Lokalregierung. Zwei zusätzliche Faktoren – der von den USA verordnete Drogenkrieg und das Ley de Participación Popular (LPP), mit dem auch die Selbstverwaltung im Chapare einen legalen Status erlangte – führten zur Politisierung und Radikalisierung der Cocalero-Bewegung. Der Prozess des Aufbaus eines instrumento político, einer eigenen Partei, mündete 1999 in der Übernahme der MAS (Bewegung zum Sozialismus). Unter der Leitung des indigenen Cocalero-Führers Evo Morales gelangte der MAS nach den demokratischen Wahlen vom Dezember 2005 schließlich an die Regierung. Ein wesentlicher Grund für diesen überwältigenden Sieg der noch jungen Partei, die sich als politisches Instrument aller sozialen Bewegungen des Landes verstand, war der Umstand, dass die Kokapflanze dank des heroischen Kampfes der Cocaleros inzwischen zum Symbol des nationalen Befreiungskampfes gegen die USA avanciert war.

Nach Bolivien ging Robert Lessmann auf die Situation in den beiden anderen Anbauländern für Koka im Andenraum, Peru und Kolumbien, ein. Im Vergleich mit Bolivien wird deutlich, warum sich dort keine starken Bewegungen der cocaleros etablieren konnten. Zwar gilt auch Peru als indigen geprägtes Land, allerdings ohne dass dies aber zu einer ähnlich hohen Politisierung des Ethnischen wie in Bolivien geführt hätte. Dies mag auch darauf zurückzuführen sein, dass dort die Traditionslinie des sindicalismo fehlt und der Bürgerkrieg der 1980er Jahre eher zur Entpolitisierung und Demobilisierung gerade der indigenen Bevölkerung geführt hat. Einen zweiten Ursachenkomplex verortet Lessmann im Kokaanbau selbst. So wird in 12 von 22 Departements Perus Koka produziert, wobei sich die acht Hauptgebiete z.T. sehr unterscheiden. Dies schlägt sich darin nieder, dass die Kokabauern schwerer zu organisieren und stark zerstritten sind. Derzeit existieren drei miteinander rivalisierende Cocalero-Organisationen, und erst ab 2003 kommt es auch zu Protestaktionen. Außerdem spielen juristische Unterschiede eine Rolle. Während in Bolivien die „Zonifizierung“ praktiziert wird, die in bestimmten Gebieten den Anbau von Koka erlaubt, ist in Peru alles legal, was an die ENACO, die ein Aufkaufmonopol besitzt, verkauft wird. Ferner fungiert die Regierung bislang als treuer Erfüllungsgehilfe der USA, was sich in einem repressiven Vorgehen gegen die Politisierung und Mobilisierung der cocaleros niederschlägt.

In Kolumbien hingegen gibt es keine Cocalero-Organisation. Nach dem Drogengesetz von 1986 ist der Anbau von Koka illegal. Die Verfassung von 1991 erlaubt dies lediglich als Ausnahme in den indigenen Gebieten, die den Status von „resguardos indígenas“ besitzen. Resümierend hält Lessmann fest, dass es aufgrund der länderspezifischen Unterschiede in der staatlichen Kokapolitik wie im (historisch begründeten) Organisationsgrad der cocaleros keinen generell zu verallgemeinernden Zusammenhang von Kokaproduktion und dem Entstehen sozialer Bewegungen auf dieser Grundlage gebe. Die politische Durchsetzungskraft und Protagonistenrolle der bolivianischen cocaleros sind deshalb „sehr singulär“.

In der sich anschließenden Diskussion zum ersten Teil des Vortrag von Robert Lessmann ging es zum einen auf die Situation in Bolivien, zum anderen um die präzisere Bestimmung der Ursachen für die davon abweichende Konstellation in Peru und Kolumbien. Im historischen Rückblick auf die Mitte der 1960er Jahre in Bolivien (Scheitern der Guerilla von Ché Guevara) wurde deutlich gemacht, dass dort die gegenwärtige Politisierung der indigenen Bevölkerung im Rahmen ihrer Re-Ethnisierung der entscheidende Grund für den Sieg der sozialen Bewegungen darstellt. Ein bolivianischer Diskussionsteilnehmer betonte, dass die Zäsur für diese Renaissance des Indigenen schon 1992 (und nicht erst 2000) anzusetzen sei. Lessmann hatte dann noch einmal Gelegenheit, die Unterschiede in der juristischen Regelung des Koka-Anbaus in den drei Anden-Ländern zu erläutern. Damit ging die Diskussion fließend zum zweiten Teil des Themas über: die Anti-Drogen-Politik und ihre derzeitige Krise.

Veranstaltung Lessmann und Quetzal Leipzig (Foto: Quetzal Redaktion, mg)Nach einem kurzen Resümee der entsprechenden Konventionen der UNO, der grundlegenden Abläufe der Verarbeitung von Koka zu Kokain sowie  der geographischen Verbreitung und Arbeitsteilung innerhalb der Andenregion sprach Lessmann über die Anti-Drogen-Politik. Mit Hilfe eines umfangreichen, detaillierten und sehr aktuellen Datenmaterials konnte er überzeugend nachweisen, dass trotz aller Anstrengungen und entgegen offiziellen Verlautbarungen diese Politik in eine Sackgasse geführt hat. Mehr noch: Sie hat ein regelrechtes „Nachhaltigkeitsdesaster“ bewirkt. Dieses Scheitern kann an mehreren Punkten festgemacht werden. Betrachtet man den Andenraum insgesamt, so schwankt die Anbaufläche um die 200.000 ha. Verschiebungen zwischen den Ländern stellen lediglich einen so genannten Balloneffekt dar. Außerdem konnte mit neuen Verarbeitungsmethoden auch die Kokainausbeute deutlich gesteigert werden. Summa summarum zeugt dies von einer Marktsättigung, an der auch die drastischen Methoden die Drogenbekämpfung nicht ändern. Die Zerschlagung der großen Drogenkartelle in Kolumbien in den 1990er Jahre hat dort zu einer Atomisierung geführt, die viel schwerer zu kontrollieren ist. Eine zweite „Nebenwirkung“ besteht darin, dass im Gegenzug die mexikanischen Kartelle zu nicht (mehr) zu kontrollierenden Akteuren der transnationalen Drogenökonomie aufgestiegen sind, wovon der Drogenkrieg in Mexiko und Zentralamerika zeugt. Außerdem führt die Besprühung mit Pflanzengiften, die seit 1994 vor allem in Kolumbien flächendeckend praktiziert wird, bei Mensch und Umwelt zu schwersten Schäden. Eine derartige „Politik der verbrannten Erde“ sei „ein Irrwitz“. Die Instrumentalisierung der Anti-Drogen-Politik für die Aufstandsbekämpfung, wie sie vor allem die USA und die kolumbianische Regierung betreiben, werde nicht zuletzt dazu benutzt, um Kleinbauern von ihrem Land zu vertreiben, das dann dem großen Agro-Bussiness für die Produktion von Biosprit zugeschanzt wird. „Ohne die Mitwirkung der Produzenten ist keine Verminderung der Drogenproduktion möglich“ – so Lessmann. Der entscheidende Strukturdefekt der US-amerikanischen Anti-Drogen-Politk besteht darin, dass sie einseitig auf die Angebotseite fixiert ist und die Nachfrage in den USA und anderen westlichen Konsumentenländern außer Acht lässt.

Die Diskussion wandte sich im letzten Teil den Möglichkeiten und Wegen einer nachhaltigen Drogenbekämpfung zu. Lessmann verwies darauf, dass die derzeit verhärteten Fronten wenig Anlass zur Ermutigung bieten. Selbst der bescheidene Vorstoß der bolivianischen Regierung unter Evo Morales, zwei Unterparagrafen der UN-Drogenkonvention, die sich im wesentlichen auf das Kauen von Kokablättern beziehen, zu streichen, wurde abgewiesen und an die UNESCO zurück verwiesen. Eine WHO-Studie von 1995, die gesundheitlich positive Aspekte des Koka-Genusses thematisierte, wurde bereits damals auf Druck der USA zurückgezogen. Heute sorgen sich 18 Staaten, die als „Freunde der UN-Drogenkonvention“ auftreten, darum, dass an deren Paragrafen nicht gerüttelt wird. Drei Ex-Präsidenten Mexikos, Kolumbiens und Brasilien wollen bis Juni Vorschläge unterbreiten, um den Wege für Veränderungen in der Anti-Drogen-Politik aufzuzeigen. Dass dabei auch die jüngsten Erfahrungen Boliviens berücksichtigt werden sollten, zeigen bestimmte Fortschritte, die die neue Regierung in der Zwischenzeit sammeln konnte. Positiv wirkt sich vor allem die „soziale Kontrolle“ in den traditionellen Anbaugebieten aus, die auf die aktive Mitwirkung der cocaleros abzielt. Ein leichter Zuwachs der Anbaufläche sei vor allem in neuen Gebieten (u.a. durch den illegalen Anbau in Schutzgebieten) zu verzeichnen. Wie sehr die Anti-Drogen-Politik der USA durch einen „doppelten Standard“ geprägt ist, zeigt ein Vergleich der „Certificación“. Obwohl auch Peru eine steigende Anbaufläche aufweist, werde dies seitens der Obama-Administration – anders als gegenüber Bolivien – nicht sanktioniert. Auch dieses letzte Beispiel verweist darauf, dass ohne eine Neuorientierung der Anti-Drogen-Politik seitens der USA diese nur noch weiter in die Sackgasse führt. Mit diesem wenig optimistischen Ausblick endete die zweieinhalbstündige Veranstaltung, in der Robert Lessmann aufgrund seiner umfangreichen Kenntnisse und publikumsfreundlichen Vortragsweise dennoch den Gesamtweindruck vermittelte, dass bei entsprechender Lernfähigkeit und politischem Willen nachhaltigere Wege der Drogenbekämpfung möglich sind. Dies schließt die aktive Einbeziehung und Mitwirkung der cocaleros ein.

Bildquelle: Quetzal-Redaktion, mg.

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